Josef Taucher. Malerei. Text.


Werner Fenz | Der Berg ruft! Zur Bildgrammatik von Josef Tauchers Natur.


Josef Taucher, Zwielicht 7, Oktober 2004, Öl/Molino, 176 x 155 cm, Foto © W. Krug
Josef Taucher, Zwielicht 7, 2004, Öl/Molino, 176 x 155 cm, Foto © W. Krug

Wie so oft hat der Zufall Regie geführt. Mein Weg zum Computer, mit dem Ziel, diesen Text zu verfassen, war von Landschaftsaquarellen gepflastert. In einer nahe gelegenen Konditorei trank ich den gewohnten Kaffee, der Blick schweifte über die Wände - und da hingen sie an der Wand: diese duftigen, in unterschiedlichen Grün gehaltenen Bilder. Den Raum des Papiers routiniert ausnützend konzentriert sich das malerische Zentrum auf die Mitte der Blätter und lässt dort nicht nur die Farbe, sondern auch das Naturmotiv verinnern. Alle Plätze dieser kleinen Welt, von Wundschuh bis Kitzeck, von Bad Mitterndorf bis ins Ausseerland tauchten plötzlich aus dem Dunkel flüchtiger Aquarell-Erinnerungen auf: Es gibt wohl keinen Weinberg, der nicht schon zu Bildehren gekommen ist, keinen See, in dem sich die Formen und Farben nicht schon gespiegelt haben. Ist der Mensch, sind vornehmlich die Freizeitkünstler auf die Natur angewiesen? Ohne hier, in diesem Rahmen, die Ursache der Herausforderung ergründen zu können, warum täglich, oder zumindest in der wärmeren Jahreszeit, immer wieder das Bedürfnis besteht, einen neuen Bildatlas zu malen, steht die Tatsache fest, dass das Verhältnis Natur ˗ Kunst so alt wie die Kunst selbst ist. Über den Impressionismus hinaus sind viele, wenn auch nicht alle Beweggründe für ein notwendiges und herausforderndes Gegenüber argumentierbar. Als die avancierte Kunst nahezu gänzlich, mit Ausnahme konzeptueller oder medienreflexiver "Umwege" das Interesse an dieser Motivik verloren hatte, taucht der 1980 zu den internationalen Malerwochen in der Steiermark eingeladene Josef Taucher auf ˗ und malt Gebirge.

Sie hatten noch dazu mit der damals bereits forcierten sogenannten Neuen oder Wilden Malerei nichts gemeinsam. Während die Künstler dieser postmodernen Richtung eine oft spontane Vitalität auf der Leinwand thematisieren, setzt sich Taucher dem Berg weder auf eine rein existentielle noch auf eine sachlich beobachtende Weise aus.

Immer wieder sind im Angesicht der Felswände Fragen nach dem Heroischen oder Erhabenen laut geworden. Auffassungen, die freilich über die Auseinandersetzung mit Naturmotiven hinausreichen und zudem die Intentionen Tauchers verkürzt in eine andere Richtung führen würden.

Nach seiner als Zwischenspiel zu bezeichnenden Phase als Plastiker wendet sich der Künstler Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts den Erdwissenschaften zu. Aus seiner Leidenschaft als Bergsteiger und Sammler von Gesteins- und Mineralfunden wird eine rund eineinhalb Jahrzehnte ausgelebte Berufung, die ihn zu einem gesuchten Fachmann mit internationaler Publikationstätigkeit werden lässt. Weltweit erstmals beschreibt er die neuen Mineralphasen Weinebeneit, Mallestigit, Pretulit und Galgenbergit-(Ce).

Auf tausenden Seiten veröffentlicht er gemeinsam mit Christine Hollerer 2001 "Die Mineralien des Bundeslandes Steiermark in Österreich". Gegen Ende dieser Arbeit hatte er schon wieder zum Pinsel gegriffen: Der Berg in seiner malerischen Erscheinung ist wieder sein Thema. Auch wenn sich Duktus und Farbigkeit der Bilder nicht unwesentlich verändert haben, gibt es keinen Hinweis darauf, dass die wissenschaftliche Tätigkeit in direkter Linie auf die Kunst durchschlägt. Dennoch hängen die beiden Handlungsfelder unter dem Vorzeichen von Kulturtechniken eng zusammen. In beiden Fällen handeltes ich um die "Beschreibung" von Naturobjekten, wobei die Beweggründe und Methoden einander übergreifend beeinflussen. Als Ausgangspunkt dient der Status und die damit zusammenhängende Qualität des Bildes. Gleichzeitig taucht der in den Medienwissenschaften und den virtuellen Welten um eine essentielle Bedeutung angewachsene Begriff der Oberfläche im Zentrum auf.

Fernab jeder Oberflächlichkeit bildet ein Surface den entscheidenden Knoten innerhalb von Beobachtungskoordinaten, um in die Tiefe vorzudringen. Dieser Kreuzungspunkt zwischen Anschauung und Erkenntnis ermöglicht jene darstellerische Komplexität, mit der sich die Oberfläche zum Bedeutungsträger ausbildet. Vor den Malereien von Josef Taucher erweist sich diese Einschätzung als richtig.

Fernab eines mit Farbe und Pinsel hergestellten topografischen Dokuments, aber auch in großer Distanz zur Absicht, einen expressiv vorgetragenen überwältigenden Eindruck festzuhalten, generieren sich die Schicht für Schicht aus einem dichten Farbkontinuum herausgelösten formgebenden Strukturen als internalisierte Nähe zum Naturmaterial. Ein durchgehend eingesetzter Zoom-Effekt führt die Betrachter an die sich vertiefenden Oberflächen heran. Daher macht es in der angewendeten Methodik keinen Unterschied, ob der Fels, der Himmel oder die Wolken als ausdifferenzierte Gebilde auftreten. Selbst die Lichter der erwachenden oder verglühenden Sonnenstrahlen, die die Bergwände in ein gedämpftes Rot tauchen, fügen sich in dieses Bauprinzip als konstituierende Elemente einer semantisch aktivierten Bildfläche ein.

Ein wesentliches Charakteristikum erfahren die Werke aus den letzten beiden Jahren in der Zuspitzung der Wolkenlandschaften. Wie Eruptionen scheinen sie entweder aus dem Berginneren herausgeschleudert zu werden oder - hier schlägt das Phänomen der bestimmenden Bildoberfläche wieder durch ˗ auf seine Erhebungen oder Mulden herabzustürzen. In dieser ambivalenten Lesrichtung, die von einer die Bildwirkung bestimmenden dunklen Grundfarbigkeit unterstützt wird, bildet das Gestaltungsprinzip seine unmissverständlichen Konturen aus.

Auch wenn das Weiß als der eine Pol von Hell und Dunkel in diesen Bereichen stärker "ausfranst", findet es Entsprechungen in den schleierartigen Netzlinien, die den tektonischen Formen Plastizität verleihen. Im grellen Blau des Himmels, das den schwarz bis grau abgestuften Felsschichtungen auf der Basis des Kontrasts zusätzlich Gestalt verleiht, taucht weniger eine romantische Sehnsucht nach der Ferne als vielmehr der Fond des gesamten Formenkomplexes auf. In Folge der bisher vorgenommenen Positionierung der neuen künstlerischen Methode handelt es sich ebenfalls um eine Projektionsfläche einer Vertiefung, die nicht vordergründig für den Gefühlshaushalt, sondern für eine Materialqualität mit Auslösefunktion steht. Ohne einen unzulässigen Kurzschluss erzeugen zu wollen, soll für diese Bildproduktion dennoch, wenn auch mit einem gewissen Risiko, der Begriff des "Bildgebenden Verfahrens" eingeführt werden. Auch diese im Umfeld neuer Technologien beheimatete Untersuchungsmethode richtet den Blick unter die verschiedensten Oberflächen. Nicht, dass Taucher in seiner wissenschaftlichen Arbeit mit diesen Verfahren via Elektronenmikroskopie selbst in Berührung gekommen wäre. Doch die Qualität dieser Bilder hat er mit künstlerischen nie in Verbindung gebracht. Der Grund scheint darin zu liegen, dass es sich um unterschiedliche Gradationen des Sichtbarmachens handelt. Ohne den Terminus des Ganzheitlichen überzustrapazieren, führt er uns in Verbindung mit der angestrebten ins Innere der Phänomene gewendeten Schau in die richtige Richtung.

Mit dem Unterschied allerdings, dass der Künstler die (Versuchs-) Anordnung selbst aufbaut, an einem der Realität angenäherten Gegenstand exemplifiziert und auf die ständig anwachsende Bildproduktion und deren Stellenwert im ästhetischen Umfeld mit dem Instrument der Kunst reagiert. Nicht mit der Aufnahme pittoresker Orte einer Landschaft, sondern mit dem Entwurf einer kompex konfigurierten Natur.

Für die LICHTUNGEN stellt Josef Taucher erstmals seine künstlerischen und wissenschaftlichen Formulierungen von Beobachtungen und die daraus gewonnenen Schlussfolgerungen einander gegenüber. Sein aktuell bebilderter Beitrag über die Quarzzwillinge und die Bilder der Berge konstruieren Wirklichkeit in unterschiedlichen Formaten.

 

Werner Fenz: Der Berg ruft! Zur Bildgrammatik von Josef Tauchers Natur. In: Markus Jaroschka/Helwig Brunner (Hg.): Lichtungen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Zeitkritik, Nr. 101. Jahrgang XXVI. Eigentümer und Verleger: Literaturkreis Lichtungen im Rahmen der Österreichischen Urania für Steiermark. Graz 2005, S. 75 u. S. 90. 

Werner Fenz (1944 -2016), österr. Kunsthistoriker, Ausstellungs- und Projektkurator und Experte für die Malerei von Josef Taucher ab den 1970er Jahren.